Was verbindet den Schriftsteller Christoph Hein mit den deutschen Vizemeistern im Discofox, was die Kammersängerin und Musikdozentin Mechthild Georg mit dem Publizisten und Regisseur Lars Brandt? – Sie und viele andere Prominente sind Mitte September 2007 nach Gladbeck gekommen, um im Rahmen einer gigantischen Tour de Force an der Gestaltung der Festwoche zum hundertjährigen Jubiläum des Riesener-Gymnasiums mitzuwirken.
Es ist eine Woche geworden, in der unsere Schule an ihre Grenzen gegangen ist, diese Grenzen auch teilweise überschritten und somit Neuland betreten hat. Dies gilt nicht nur für das reichhaltige und anspruchsvolle Rahmenprogramm, das sich aus Konzerten, Lesungen, Tanzabenden, Jahrgangsstufentreffen und manch anderer Veranstaltung zusammensetzte, es gilt auch für das ungeheure Engagement aller Beteiligten, das vor allem eines verdeutlichte: Die Bezeichnung „Schulgemeinde“, angewendet auf alle, die dem Riesener-Gymnasium als Lehrer, Schüler, Eltern oder Ehemalige verbunden sind, ist beileibe kein Euphemismus, sondern sie umschreibt etwas, das wirklich vorhanden ist.
Von Beginn an war es ein Hauptziel der Organisatoren, die Schüler in die Konzeption, Ausgestaltung und Durchführung der Festwoche möglichst stark einzubeziehen – und im Nachhinein lässt sich sagen, dass dieses Ziel von den weitaus meisten Schülern als Angebot verstanden und tatsächlich umgesetzt worden ist. Sie entwickelten im Rahmen der Festwoche nicht nur beträchtliche Eigenverantwortung und Kreativität, sondern zeigten vielfach auch Fähigkeiten, die manche Kollegen durchaus überrascht haben dürften. – An einem Beispiel: Im Festausschuss herrschte anfangs eine gewisse Skepsis hinsichtlich der musikalischen Begabung „unserer Schüler“. Ein tagelanges Festprogramm funktioniert nun einmal nur mit viel Musik; haben wir überhaupt das entsprechende Potenzial? Aber schon im Rahmen des Festakts bewiesen unser Oberstufenchor und Saskia Kretzer, die ein von Konrad Suttmeyer umgetextetes und auf das Riesener-Gymnasium gemünztes Lied mit dem Titel „Schau auf die Welt“ vortrug, dass derartige Zweifel unbegründet waren. Die Schulband, geleitet vom „Meister der E-Gitarre“, Stefan Malzahn, zeigte vier Tage später im Rahmen eines Rockkonzerts, dass sie sich neben professionellen Bands der Region längst sehen und hören lassen kann. Unsere Theatergruppe glänzte mit einer musikalisch-szenischen Revue, die den Bogen vom kaiserlichen Deutschland bis in die postmoderne Gegenwart schlug, wobei Arabesken zur Schulgeschichte nicht zu kurz kamen. Wer den Auftritt von Jana Winkelhoch und ihrer Band miterleben durfte, wird sich vor allem an die unverwechselbare Stimme und die Performance der Frontfrau erinnern. Und der gefeierte Auftritt der Stomp-AG zu den suggestiven Klängen von Maurice Ravels Bolero, optisch ergänzt durch die längst legendäre Kür der ehemaligen Eistanzweltmeister Jayne Torvill und Christopher Dean, zählte zweifellos zu den Programmhöhepunkten des Festballs in der Stadthalle. – „Riesener“ sollen nicht musikalisch sein?
Im Zentrum des Jubiläumsprogramms stand indes eine Vielzahl von Projekten, in denen jahrgangsstufenübergreifend und ohne lästiges Stundenklingeln gearbeitet wurde. Das Spektrum der Angebote reichte von topographischen Erkundungen des Ruhrgebiets per Fahrrad bis zur „Reanimation“ antiker Lebenskunst, von der Erforschung der Vereinsgeschichte des Fußballclubs „Schalke 04“ bis zur Analyse des Parteienspektrums der Bundesrepublik. Zwar sind derartige Projekttage Lehrern und Schülern des Riesener-Gymnasiums längst wohlvertraut, doch einige Neuerungen gab es auch hier: Zum ersten Mal versuchten sich Schüler der Oberstufe selber erfolgreich als Projektleiter. Außerdem öffnete sich die Schule für Vertreter anderer Bereiche des gesellschaftlichen und des geistig-kulturellen Lebens: So gaben mehrere Jugendbuchautoren nicht nur aufschlussreiche Einblicke in ihr Schaffen, sondern arbeiteten im Rahmen literarischer Workshops auch direkt mit den Teilnehmern zusammen. Und das norddeutsche Kleinkunsttrio LiMUSiN demonstrierte mit viel Augenzwinkern und Charme, dass es durchaus möglich ist, einen Deutschkurs innerhalb weniger Tage in eine Schauspieltruppe zu verwandeln ( – und die Passanten in der Gladbecker Innenstadt mit makabrem Straßentheater teils zu verwirren, teils zu bezaubern – ), bevor es mit einem amüsanten Wilhelm-Busch-Programm unter dem Titel „Das kann ja heiter werden…“ sein Wirken in Gladbeck abrundete. – Nach fünf abwechslungsreichen Tagen mündete die Projektarbeit in Präsentationen dokumentarischer oder performativer, circensischer oder auch kulinarischer Art, mithin in eine so zwanglose wie facettenreiche Leistungsschau, die allen Besuchern noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Eine besondere Rolle innerhalb der Jubiläumswoche spielte das groß angelegte Zirkusprojekt für die Erprobungsstufe. In Zusammenarbeit mit dem Zirkus Sperlich und unter Leitung erfahrener Zirkuspädagogen der Freien Pädagogischen Initiative Unna sowie zahlreicher Lehrer des Riesener-Gymnasiums erwarben unsere Jüngsten binnen kürzester Zeit das Rüstzeug, um sich vor Hunderten von staunenden Zuschauern im Manegenrund in Clowns und Jongleure, Feuerschlucker und Kontorsionisten zu verwandeln. Chapeau!
Wie viele Gäste mögen nun die 17 zentralen Veranstaltungen dieser turbulenten Woche besucht haben? Nach Schätzungen dürften es weit mehr als 3000 gewesen sein: Eltern und ehemalige Abiturienten, Schüler und Lehrer anderer Schulen der Region, aber auch aber auch zahlreiche Gladbecker, die sich, obwohl sie sonst wenig mit dem Riesener-Gymnasium verbindet, die Gelegenheit nicht entgehen ließen, namhafte Literaten und Künstler einmal hautnah zu erleben – und natürlich die „Riesener“ sämtlicher Jahrgangsstufen! Viele von ihnen haben in diesen Septembertagen erstmals die Erfahrung gemacht, dass ihre Schule weitaus mehr sein kann als ein Ort, wohin man geht, um Unterricht erteilt zu bekommen und seine Freunde zu treffen. Eine Unmenge begeisterter Reaktionen bewies den Organisatoren, dass es in dieser Woche gelungen ist, den „Lernort Schule“ in einen komplexen Erlebnisraum zu verwandeln. Und es wäre schön, wenn die Jubiläumswoche das Startsignal sein würde für die Entwicklung einer Schulkultur, die über das angestammte Areal am Jovyplatz hinaus Öffentlichkeit sucht und findet.
Und die Kosten? Man braucht gewiss keine kaufmännische Ausbildung, um festzustellen, dass ein derart umfangreiches Jubiläumsprogramm allein über die (niedrigen) Eintrittspreise nicht zu finanzieren war. Deswegen wollen wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. Dank sei den vielen Eltern, die mit Kuchenspenden vor allem im Rahmen der Zirkusveranstaltungen für zusätzliche Einnahmen sorgten! Dank sei den auswärtigen Mitwirkenden, die uns ihr Können kostenlos oder für eine Summe, die kaum den Namen „Aufwandsentschädigung“ beanspruchen darf, zur Verfügung stellten; hervorheben möchten wir den Chor der Volkshochschule, der sowohl den Festakt als auch den Festball mit einem bunten Strauß lateinamerikanischer und afrikanischer Lieder bereicherte! Unser besonderer Dank für großzügige Spenden gilt natürlich Sponsoren der Festwoche: der Volksbank Ruhr Mitte, der Stadtsparkasse Gladbeck, der Volkshochschule Gladbeck, der Emscher Lippe Energie GmbH, der Deutschen Rockwool Mineralwoll-GmbH & Co. OHG, Mineral-Plus und – last but not least – der INEOS Phenol GmbH & Co. KG, die ein Höhenfeuerwerk finanzierte, das so prachtvoll war und so laut, wie es sich für ein hundertjähriges Jubiläum gehört! Und ein ganz spezieller Dank geht an unseren engagierten Förderverein: Lieber Herr Dr. Harbarth, liebe Frau Holtmannspötter, lieber Uli, wenn wir euch nicht hätten…
Und sonst? Gab es denn gar nichts Negatives? Lief nicht der Kartenvorverkauf zum Teil recht unprofessionell, überschnitten sich nicht diverse Ambitionen und Präsentationen, sahen manche Räume nach dem Abbau der Installationen nicht wie Schlachtfelder aus? – Sicherlich. Aber man mag es uns nachsehen, dass wir auf die Einwände der Kritikaster einstweilen nur mit einem Achselzucken reagieren. Und die Replik darauf dem Moralisten Horst Drescher überlassen: „Der beste Weg, etwas zu machen und es sogar gut zu machen, ist der, einfach anzufangen und es zu machen; so gut man es eben vermag und mit vieler Mühe. Beim Machen findet sich dann erstaunlich viel ein. Dann finden sich freilich auch alle jene ein, die es zwar nicht gemacht haben, die es aber mühelos hätten besser machen können.“ – Nicht wahr?
Jörg Judersleben