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Verhaftet und hingerichtet

WAZ 15.05.2010

Es ist ihm eine Herzensangelegenheit: Peter Jarosch fährt mit dem Fahrrad regelmäßig alle 18 in Gladbeck verlegten Stolpersteine ab. Er schaut nach, ob sie unbeschädigt sind. Und er poliert sie, damit der Glanz der goldenen Messingplatten erhalten bleibt.

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Damit die eingravierten Namen gut zu lesen sind. Seit einem Jahr macht er das, Woche für Woche. „Die Opfer des Naziregimes dürfen nicht vergessen werden. Mehr noch, sie müssen ihre Namen zurück erhalten“, sagt Peter Jarosch. Deshalb engagiert sich der DKP-Mann im Gladbecker Bündnis für Courage, das in der Stadt die Stolpersteine-Aktion initiiert hat. Deshalb greift er einmal die Woche zu Poliertuch und Spezialputzmittel.

Ab dem Sommer wird Peter Jarosch seine Route erweitern müssen: Die Jugendlichen von acht Schulen recherchieren wieder. 27 weitere Stolpersteine sollen am 9. Juli verlegt werden. Um weiteren Naziopfern ihren Namen zurück zu geben, wieder zu ihrer Identität zu verhelfen.

Doch die Spurensuche, weiß Pfarrerin Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup vom Bündnis, sie wird immer schwieriger. Zumal die Schülerinnen und Schüler sich diesmal unter anderem auch um die Schicksale jüdischer Familien aus Galizien kümmern. Menschen, die nach dem ersten Weltkrieg als Arbeitskräfte nach Gladbeck kamen, und dann, 1938, relativ schnell der Nazi-Maschinerie zum Opfer fielen. „Sie haben die jüdische Gemeinde Gladbecks sehr wachsen lassen, aber in der Regel in der Stadtgeschichte nicht viele Spuren hinterlassen“, ergänzt die Pfarrerin. Es handelt sich um die Familien Gelobter, Plesser, Haber, Premminger, Kuhflick und Röttgen.

Eine andere Schülergruppe kümmert sich um die Geschichte von Willi Mannell. Er war Zeuge Jehovas, ist von den Nazis verhaftet und hingerichtet worden. Stolpersteine sollen auch Paul Kmietsch (SPD) und der Kommunist Kurt Strohfeld erhalten. Beide wurden bei der großen Saalschlacht in der Gaststätte Kiekenberg von SA-Kräften so schwer verletzt, dass die kurz darauf starben.

Bald schon sollen die kleinen Steine mit den goldenen Messingschildern im Pflaster vor den Häusern liegen, in denen diese Menschen gelebt haben. Oder an Orten, die ihnen wichtig waren. Peter Jarosch wird auch diese neuen Stolpersteine pflegen, damit das Messing weithin leuchtet, die Menschen rechtzeitig stehen bleiben. Den Kopf ein wenig Richtung Boden geneigt, sollen sie dann die Namen lesen. „Das ist auch“, sagt Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup, „gleichzeitig eine Verbeugung vor den Opfern.“

An der Horster Straße 54, am Jovyplatz 18, am Kardinal-Hengstbach-Platz, an der Breukerstraße 90 sowie an fünf weiteren Punkten in der Stadt liegen die Stolpersteine bereits seit 2009. Damals waren es Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Realschule, der Elsa-Brändström-Schule, der Erich-Fried-Schule, vom Heisenberg- und Riesener-Gymnasium, der Werner-von-Siemens-Realschule und die Konfirmanden der Ev.-Lutherischen Kirchengemeinde Mitte, die das Schicksal der jüdischen Familien wieder lebendig werden ließen. Mit Engagement und viel Herz waren die Jugendlichen bei der Sache. „Die Stolperstein-Aktion ist ein guter Weg, um Jugendlichen Geschichte auf einer anderen Ebene zu vermitteln. Spannender eben, als es im Unterricht möglich ist. Die Schüler werden zu Detektiven. Das, was sie über die Naziopfer herausfinden, geht ihnen nahe“. Als ehemaliger Leiter der Erich-Fried-Hauptschule weiß Robert Stratmann, der sich ebenfalls im Bündnis für Courage einsetzt, wovon er redet.

Den Gladbecker Ansatz, Jugendliche die Schicksale recherchieren zu lassen, kann er deshalb nur befürworten. Nicht in allen Gemeinden, in denen Stolpersteine verlegt werden, ist das der Fall. Oft sind es auch Geschichtskreise oder die Stadtarchive, die die Recherche übernehmen.

In Gladbeck aber ist das Bündnis stolz auf das, was die Jugendlichen an Geschichte aufgearbeitet haben. Ihre Stolperstein-Recherchen sind deshalb auch in einer Broschüre zusammengefasst worden, die jeden 2009 verlegten Stolpersteine auflistet, die Recherche der Schülerinnen und Schüler ausführlich dokumentiert. Natürlich hoffen die Leute vom Bündnis für Courage, das möglichst viele Gladbeckerinnen und Gladbecker dieses lokale Geschichtsbuch studieren werden. An den Schulen steht „Stolpersteine“ bereits im Bücher-Regal.