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Ein Baustellengrüst

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Nach seinen Erfolgsromanen „Fette Welt“, „Melodien“ und „Thanatos“ hat sich Helmut Krausser verstärkt der Dramatik zugewendet, ohne sich dabei untreu zu werden:

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Alle wieder ganz lebendig: Mitwirkende und REgieteam ernten den verdienten Applaus

Auch „Haltestelle. Geister“ (2000/01) oszilliert zwischen bizarrer Symbolik und greller Gesellschaftssatire; der szenische Dialog geizt nicht mit drastischen Details. Zum Plot: An einer Bushaltestelle treffen allerlei Geschichten, Schicksale und randständige Existenzen aufeinander: von einer Frau, die glaubt, eine Prinzessin aus dem Weltall zu sein, bis zum Kleinbürger auf Online-Partnersuche, der seine Identität beziehungsreich hinter dem Tarnnamen „Großinquisitor“ verbirgt. Einige der Gestalten verlieren ihr Leben, um anschließend die Haltestelle als Geister wieder zu bevölkern.
Für den Theaterkurs der Jahrgangsstufe 12 bedeutete das selten gespielte Stück insofern eine Herausforderung, als hier die Spannung zwischen anrührenden und grotesken Handlungselementen auszuhalten und zu gestalten war, was den Intentionen des Verfassers letztlich ebenso entspricht wie der gesellschaftlichen Wirklichkeit unserer Zeit: Schließlich sind unsere Versuche, der eigenen Einsamkeit zu entkommen und gleichwohl auf einem höchst individuellen Glücksanspruch zu beharren, ebenso anrührend wie grotesk – und letztlich allzu oft zum Scheitern verurteilt. Glücklicherweise sorgten Stoff, Inszenierung und gut aufgelegte Darsteller dafür, dass nicht nur nachgedacht, sondern auch viel gelacht werden konnte: Unvergesslich bleibt etwa die Szene, in der die beim S/M-Spiel von einem herabstürzenden Bügeleisen erschlagene Wagnerianerin („Es war nicht mein schlechtester Sex!“) indigniert beobachtet, wie ihr Gatte melancholisch einen Müllsack mit ihren zerstückelten Überresten entsorgt.    
Winfried Klutzny und Ulrich Döing leiten das Theaterprojekt der Oberstufe übrigens seit nunmehr 25 Jahren. Diese vitale Inszenierung belegt einmal mehr, dass von Ermüdungserscheinungen nicht die Rede sein kann.